90:10, ich werd‘ doch nicht Selbständig!

Kürzlich diskutierte ich mit meinem Coach über das Selbständigsein – er ist fest angestellt in einem Beratungshaus, ein sehr dynamischer Mensch mit viel Erfahrung, aus meiner Sicht jemand, der wohl keine Probleme hätte als freischaffender Coach sein eigenes Unternehmen auszubauen.

Seine Reaktion kam schnell: er malte mir eine Pyramide an das Flipchart, drei Stufen von Menschenfiguren, eine Figur einsam obenauf: „DER CHEF“. Nebendran schrieb er: 90%, an die beiden Stufen darunter, verbunden: 10%. Er erklärte: „Deswegen (er deutet auf die Zahl 90) werde ich sicher nie selbständig. Wegen der 90% Verantwortung die ich dann tragen muss.“.

Ich war doch etwas überrascht von dieser schnellen, fast schon automatischen, Kategorisierung – hatten wir doch in vielen, intensiven Gesprächen über neue Arbeitsformen gesprochen, und dass es dabei auch darum geht, Verantwortung auf alle Mitarbeiter zu verteilen. Vor allem um in diesem Schritt die Mitarbeiter eines Unternehmens zu befähigen, gute, schnelle und unbürokratische, Entscheidungen zu Gunsten der der Kunden (und des Unternehmens) zu treffen. Aber das eben auch eine Folge dieses Vorgehens sei, dass der / die Gründer(in) nicht mehr 90% der Verantwortung tragen müsse.

Ich stehe also auf, und tausche die Zahlen: 10% bei dem / der einen, 90% bei den Mitarbeitern. Es sind ja eben auch viele Schultern, auf welche diese 90% verteilt sein dürfen.

„Jaaaa..“, sagt mein Coach, wenn das so gehen könnte, würde ich mir das vielleicht noch mal überlegen. Mit der Selbständigkeit.

Verantwortung muss geteilt werden können

Eine Aussage, welche ich immer wieder von Gründern und Vorgesetzten lese und höre, wenn diese in Unternehmen arbeiten mit neuen, selbstbestimmten Arbeitsformen, ist diese: „Mein Schreibtisch ist meist leer, ich habe Zeit mich auf das zu konzentrieren, was ich gut kann. Endlich wieder.“

Darum geht es dann eben auch: Heute wird in Unternehmen eine Haltung gelebt welche besagt: Mitarbeiter (gruselige Bezeichnungen: „In der Linie“, „On the street“, etc.: i.e. jene, die mit Kunden arbeiten) haben weder den Überblick, noch die Fähigkeiten, um Entscheidungen zu treffen. Daraus formt sich ein Menschenbild, welches nach Kontrolle ruft. Und umgekehrt, in der Führung, verliert sich der Kontakt zum Kunden (i.e.: zur Realität) und wird durch interne Reflexe in Form von Kontrollarbeiten ersetzt. Der Realitätsverlust wird an möglichst steuerbare Abteilungsformen abgegeben: Marktforschung, Marketing, Produktmanagement, Employer Branding. Die sollen den Kunden verstehen, ich komme ja nicht mehr dazu.

10:90 ist möglich

Wenn ich also mit meinen Fähigkeiten in die Selbständigkeit gehen möchte und ein eigenes Unternehmen mit Mitarbeitern andenke, dann kann ich auch gleich so planen, dass sich diese etablierte Reaktion erst gar nicht einschleicht. Ich plane, für meine Mitarbeiter wie für mich, in der Regel pünktlich nach Hause zu kommen, ebenso entspannt in Urlaub zu gehen, den Kopf stets noch ausreichend frei für meine wirklichen Fähigkeiten zu behalten. So kann das sehr gut werden.

Anhang

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www.wandelwerk.org

Die Anzeichen einer sich zunehmend schneller verändernden Arbeitswelt beschäftigt viele Menschen aus allen gesellschaftlichen Bereichen. Es wird deutlich, dass unsere Strukturen und Werte dringend auf den Prüfstand müssen – Konzepte, welche vor 120 Jahren unter gänzlich anderen Marktbedingungen hervorragend wirkten, sind heute nicht mehr reaktionsfähig. Auch wenn der Begriff „agil“ in den letzten Jahren überstrapaziert wurde, es bleibt die Frage wie Unternehmen mit den veränderten Anforderungen weiterhin wertschöpfend agieren können. Dabei beschäftigt sich „New Work“ nicht nur mit einer Vielzahl wesentlicher Ansätze und Gedanken, sondern auch mit konkreten Beispielen und Hilfestellungen.

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